1999
Ein bis zwei Mal im Jahr finden Nachbarn und Nachbarinnen der umliegenden Straßen unsere sogenannte "Eltern- und Anwohnerzeitung" in ihren Briefkästen. Auf im Durschnitt acht bis zwölf Seiten berichten wir über den Alltag auf dem Baui, politische Themen und über andere Dinge, die die Leute im Stadtteil interessieren könnten. In der Ausgabe vom April 1999 gibt es zum Beispiel einen ausführlichen Artikel über die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts in Deutschland. Diese wird (natürlich) von rechts torpediert, was wir (natürlich!) kommentieren. Das auf dem Baui praktizierte internationale und interkulturelle Zusammenleben wird so leider nicht von allen gewünscht.
In einem weiteren Artikel gehen wir der Frage nach, wonach unsere Straßen eigentlich benannt sind. Unsere Straße Am Brunnenhof und auch die Brunnenhofstraße erhielten ihren Namen, weil hier einst eine Quelle namens "Bornspring" lag, die der Wasserversorgung der Umgebung diente. Die Gilbertstraße wurde nach dem Komponisten Jean Gilbert (1879-1942) benannt und die Otzenstraße nach dem Architekten Prof. Johannes Otzen (1839-1911), der die Friedenskirche am Brunnenhof entwarf. Auch an den Mennoniten-Diakon Paul Roosen (1582-1649), den Pastor Clemens Schulz (1862-1914), den dänischen Staatsminister Hartwig Ernst Graf von Bernstorff (1712-1772) und den Seehelden Simon von Utrecht (gestorben 1437) wird durch unsere Straßennamen heute noch erinnert. Die Kleine und die Große Freiheit hingegen erinnern daran, dass die Grenze zwischen Hamburg und dem damals zu Dänemark gehörenden Altona einst mitten durch unser Viertel lief. Im Gegensatz zu Hamburg herrschten in Altona viel freiere Gesetze, weshalb sich zahlreiche Handwerker und auch religiöse Minderheiten in der "Freiheit" ansiedelten.
Manche Menschen können von einer solchen Freiheit nach wie vor nur träumen. So läuft am 6. Juli läuft vom Fährterminal in Altona die Fähre nach England aus, die Jugendgruppe des Bauis mit an Bord, auf dem Weg zu einer internationalen Jugendbegegnung in Liverpool. Ein Mitglied der Gruppe jedoch ist enttäuscht, denn er darf nicht mit dabei sein. Er ist ein echter Jung aus St. Pauli, besitzt aber nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Alle Bemühungen, für ihn eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen, helfen nichts, obwohl die Jugendbegegnung mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft gefördert wird. Was nützt es da, in der Großen Freiheit zu wohnen?
Zumindest unser Baui am Brunnenhof ist ein Ort, an dem solche Dinge keine Rolle spielen. Hier sind Menschen jeder Kultur, jeder Hautfarbe, jeden Alters und jeden Geschlechts willkommen. Und das soll auch so bleiben!